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59. Sanktionstag …

 

 

Weitere Übergabe der Hungerstaffel
und prinzipielle Gedanken zum Ende der ganzen Aktion

 

 

Liebe Freunde –

 

am Montag Vormittag war „Martin der Erste“ noch einmal zu Besuch. „Martins“ Gewicht ist in den 14 Tagen von 66 auf 61,2 kg abgesunken – Er hat jetzt den „Stab“ des Staffelhungerns abgegeben. Das Hungern ist jetzt von Marco Scheffler aus Hamburg übernommen worden, wofür ich ihm sehr danke. Eine gewisse Frist, mich weiter zu erholen ist dadurch für mich freigesetzt.

 

Auch an „Martin“ geht natürlich tiefster Dank. In meiner Seele gehört er jetzt zu meinen „Brüdern“.

 

Abends in der Sitzung der Bürgerinitiative ging es zum Ende um die Frage, welches Ziel die ganze Aktion verfolge, bzw. unter welchen Bedingungen ich bereit wäre, "aufzugeben".

 

Spät in der Nacht habe ich Diana dann erzählt,
- wie sehr ich schon als Jugendlicher Galilei verurteilt habe, weil er im entscheidenden Moment eingeknickt ist,

- wie sehr ich dagegen Giordano Bruno schätze, der, als ihm das Todesurteil ausgesprochen wurde, seinen Richtern sagte, dass ihre Angst bei dem Urteil größer sei als seine – und dann in Ruhe auf den Scheiterhaufen ging,

- wie wenig ich für gut heißen kann, dass unsere Schullehrer den Galilei hochschätzen und den Giordano Bruno fast verschweigen …

- wie sehr ich Sokrates liebe, der in Ruhe den Schierlingsbecher trank – denn ohne diese Tat hätte es das europäische „Erwachen des Denkens“ nie gegeben: Sokrates wäre unbedeutend und unbekannt geblieben, Platon hätte somit kein Thema und Aristoteles keinen Lehrer gehabt. Die Ur-Elemente des freien Denkens: das Fragen (Sokrates), das innere Anschauen von Ideen (Platon) und die Logik (Aristoteles) hätten so keine Entdecker gehabt.

 

Es schälte sich uns aber auch noch eine Besonderheit des Sanktionshungerns heraus, die uns so klar bisher noch nicht gewesen ist:

 

Ich habe das „Sanktionshungern“ ja immer schon als das genaue Gegenstück des Hungerstreikes aufgefasst und dargestellt: Den Hungerstreik ergreife ich, um mich zu wehren und/oder jemand anderen zu etwas zu zwingen. Dem gegenüber wird beim Sanktionshungern das Hungern per Sanktion über mich verhängt, um mich zu etwas zu zwingen [1] – ein Schicksal unter dessen Androhung zur Zeit 12 Millionen Menschen in Deutschland (alle Hartz IV-Bezieher und der gesamte Niedriglohnsektor) leben  - sonst wäre der Niedriglohnsektor ja nicht so „brav“.

 

Ein weiterer Unterschied liegt aber auch am „Ende“. Während den Hungerstreik eigentlich nur ich selbst beenden kann, weil meine Kräfte schwinden oder weil meine Forderung erfüllt ist (natürlich kann er auch gegen meinen Willen gewaltsam durch Zwangsernähung beendet werden), kann das Sanktionshungern nur durch den Sanktionär beendet werden. Ich habe ja nichts – kein Essen und kein Geld – um das Hungern zu beenden.

 

Der Tag wird also kommen, an dem nicht der Sanktionshungernde, sondern das Jobcenter und der Gesetzgeber zu entscheiden haben, wann und wie das Hungern beendet werden wird.

 

Mancher hat den vorübergehenden Aufschub meines Dauerhungerns, dadurch, dass jetzt andere mein Hungern übernommen haben, als einen Verrat an der Sache oder wenigstens als ihre Schwächung empfunden. In Wahrheit ist das sog. "Staffelhunger" nur als vorübergehendes Entgegenkommen an das Jobcenter und an den Gesetzgeber anzusehen, weil man dort erfahrungsgemäß nur SEHR langsam die Dinge begreifen und ändern kann. Es kann aber keine endgültige Lösung der sich immer mehr verschärfenden Lage sein.

 

Mit herzlichem Gruß,

euer  Ralph


 

[1] Anders gesagt ist der Hungerstreik ein Kampfmittel der Unterdrückten, um ihre Forderungen gegen den Unterdrücker durchzusetzen, der Essensentzug dagegen ist ein Instrument der Unterdrücker, um durch Essensentzug die Unterdrückten einzuschüchtern oder zu vernichten. Im Gefängnis angewendet gilt Essenentzug unmittelbar als Folter!