Dringender Aufruf!

 

Mitte August, während der Wahlarbeit, da standen wir vorm Jobcenter, verteilten fröhlich InfoMaterial und sprachen die Wartenden zum Thema „bedingungsloses Grundeinkommen“ an. Da war eine Frau mit ihrer vielleicht 13 jährigen Tochter, die ließ sich auf ein kurzes Gespräch mit uns ein und nahm unseren Flyer zum Thema mit. Einige Zeit, nachdem sie im Jobcenter entschwunden waren, kam die Tochter wieder heraus, ging auf mich zu und sagte, ihre Mutter würde mich bitten, ob ich mit ihr zusammen zu ihrem Termin gehen könne. Ich ging also zur Mutter und sagte, ich ginge gerne mit, aber ich wisse nicht, ob ich ihr wirklich helfen könne. Sie sagte, das wäre nicht wichtig, Hauptsache sie wäre nicht allein.

So gingen wir gemeinsam zu ihrem Termin. Die Tochter wartete draußen.

Es war ein Schlachtfest ohne gleichen, welches sich da im Amt ergab. Die Mutter klagte, dass kein Pfennig Geld an sie ergangen wäre, hatte allerdings keine der Bedingungen, die vom Amt an sie erhoben wurden, erfüllt. Anscheinend hatte sie das Mietgeld fehlverwendet und die Miete nicht gezahlt, habe "eine Horde Jugendlicher" bei sich wohnen gehabt usw. usf.. Der Vermieter habe ihr gekündigt, las das Amt ihr aus den Akten vor. 

Sie sagte, das alles sei ein Irrtum. Das mit dem Vermieter könne sicher aufgeklärt werden. Es könne sich nicht um Sie handeln, was da vorgelesen worden war.

Dann fragte man sie, warum sie zu den dringlich einberufenen Terminen nicht gekommen wäre. Sie sagte, dass sie geglaubt habe, alles sei in Ordnung, weil sie ja direkt vor der Einladung erst einen Bewilligungsbescheid bekommen habe, der ihr die Weiterzahlung des Geldes zugesichert hat. Die darauf folgende Einladung habe sie für einen Irrtum gehalten, da kein GRUND der Ladung darin gestanden hätte.

Ganz offensichtlich lag die Frau in ihren Argumenten falsch. Sie klammerte sich an Strohhalme und blendete alle anderen Fakten aus.

Sie hatte Angst vor der Begegnung mit dem Amt. Erst als kein Geld mehr da war, ging sie hin. Eine Kette von Verzweiflungstaten und Schutzbehauptungen war es, was sie präsentierte. Sie war völlig überfordert. Man fühlte, dass sie Hilfe brauchte. Aber Hilfe konnte ihr nicht gegeben werden.

Auch die Mitarbeiterin des Jobcenters war bestürzt und litt auf ihre Weise mit. Aber sie konnte nicht anders, als ihr das Geld zum Leben und zum Wohnen nicht zu zahlen. Man einigte sich auf einen Termin "am Donnerstag", an dem die Frau vorgab, vom Vermieter entlastende Dokumente bringen zu können. Wenn das ginge, sagte die Mitarbeiterin vom Amt, dann könne man über die Weiterbewilligung eines Teils des Geldes reden. Dann gingen die Frau und ich wieder aus dem Zimmer hinaus.

Draußen stand eine bleiche Tochter und mit gebrochenem Blick bedankte man sich bei mir. Ich gab der Frau einen Flyer von einem Rechtsanwalt, die Telefonnummer einer ehrenamtlichen Hartz-IV-Initiative und meine Adresse und Telefonnummer - aber was nutzt das alles schon. Geblendet vom Leid und schweigend gingen wir auseinander und ich habe seit dem nichts mehr von ihr gehört ….

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Gesetzestext (in Auszügen und mit Kommentaren von mir):


SGB II § 31 Absenkung und Wegfall des Arbeitslosengeldes II und des befristeten Zuschlages

(1) Das Arbeitslosengeld II wird (…) in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen Regelleistung (…) abgesenkt, wenn
 

 

1. der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert,

 

 

a) eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen

 

 

 

(Kommentar: Die sog, „Eingliederungsvereinbarung“ entkleidet den Bedürftigen jeglicher Widerspruchsrechte (deshalb steht sie an erster Stelle !), wird mit der Bedrohung der Sanktion erzwungen und von vielen Juristen und Richtern als Grundgesetzwidrig angesehen.)

 

 

b) in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen,
    insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen

 

 

 

(Kommentar: "Eigenbemühungen" heißt für die weitaus Allermeisten: erzwungene unsinnige Bewerbungen in großen Massen abzuschicken.)

 

 

c) eine zumutbare Arbeit (…) aufzunehmen oder fortzuführen

 

 

 

(Kommentar: "Zumutbar" ist in Hartz IV dem Grunde nach JEDE Arbeit: in die Lebenssituation passend oder nicht, sinnvoll, unsinnig, bezahlt oder unbezahlt!)

 

 

d) zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 auszuführen.

 

 

 

(Kommentar: „Zumutbare Arbeit“ nach § 16 Abs. 3 Satz 2 ist sinnlose, vom Amt geschaffene künstliche Arbeit zur Kontrolle, Maßregelung, künstlichen Beschäftigung von Arbeitslosen, die mit 1 – bis 1,5 Euro / Stunde vergütet wird.)

 

2. (...)  


(2) Kommt der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihr zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nach und weist er keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nach, wird das Arbeitslosengeld II (…) in einer ersten Stufe um 10 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt.

(3) Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach Absatz 1
wird das Arbeitslosengeld II um 60 vom Hundert  (…) gemindert.
Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach Absatz 1
wird das Arbeitslosengeld II um 100 vom Hundert gemindert.

Bei wiederholter Pflichtverletzung nach Absatz 2 wird das Arbeitslosengeld II um den Vomhundertsatz gemindert, der sich aus der Summe des in Absatz 2 genannten Vomhundertsatzes und dem der jeweils vorangegangenen Absenkung nach Absatz 2 zugrunde liegenden Vomhundertsatz ergibt. (…)

(4) (…) 

(5) (Nur für Jungendliche, nicht für Erwachsene gilt:)

Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II nach Satz 2 kann (Kommentar: nicht muss!) der Träger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls Leistungen für Unterkunft und Heizung erbringen, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen.
         (Kommentar: D.h.: Erwachsene haben keine Möglichkeit, ihre Obdachlosigkeit
          abzuwenden.)

(6) (…) Absenkung und Wegfall dauern drei Monate. (…)  
Während der Absenkung oder des Wegfalls der Leistung besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Zwölften Buches SGB.

             (Kommentar: Die verhängten Sanktionen dauern 3 Monate, auch wenn das vom Amt
                festgestellte "Fehlverhalten" nur eine Stunde nach Verhängung der Sanktionen ausgemerzt

                wird. Durch den letzten Satz wird jede staatliche Hilfe ausgeschlossen. D.h. man ist ganz
                einfach mittellos und obdachlos.)
 

 

Alle Kommentare von Ralph Boes
Den ganzen Paragraphen lesen Sie hier: http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbii/31.html
 

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Der Sanktionsparagraph stellt nichts weniger als das Instrumentarium einer modernen Folterkammer dar.

Demgegenüber müsste gelten: 


"Auch wenn erwartet wird, dass die Sozialhilfebezieher Anstrengungen unternehmen, aus ihrer Lage herauszufinden und ein eigenständiges Leben zu führen, so meint das Recht auf Sozialhilfe dennoch die Übereinkunft, dass niemand unter ein definiertes Existenzminimum fallen soll. Die Sozialhilfe ist ein unbedingtes Recht auf ein menschenwürdiges Leben, das nicht erst durch eine Gegenleistung erworben werden müsste.
 

Man kann die zugrunde liegende ethische Grundeinsicht auch so beschreiben:
 

Das Recht des Menschen auf Leben geht jeder Pflicht zu einer Gegenleistung voraus. Das Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt folgt aus der wechselseitigen Anerkennung der menschlichen Würde und eben nicht der Beteiligung an einer Gegenleistung."
 

Prof. Dr. Franz Segbers auf  www.sanktionsmoratorium.de
 


Bitte unterschreiben Sie die Petition zur Aussetzung des Sanktionsparagraphen
und senden sie den Link zu ihr an Freunde und Bekannte weiter!

Die Petition ist schon seit dem 15.09. online und hat bisher nur 4000 Unterschriften erhalten.
Sie ist nur noch bis zum 28.10.2009 online.

Link:
https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=6785

Weitere Infos:
www.sanktionsmoratorium.de

Auch dort sollte unbedingt unterschrieben werden! s. hier
 

Berlin, den 07.10.2009
Ralph Boes