Es gibt Momente, da hält die Zeit den Atem an
damit das Unerwartete geschehen kann.

 

Bericht vom 1. Mai 2009 in Berlin
 

Wir hatten ja nur vor, als „Bundesagentur für Einkommen“ die große Gewerkschaftsdemo etwas gegen den Strich zu bürsten. Während diese auf dem Weg zum Brandenburger Tor „Arbeit für Alle“  propagierte, wollten wir von der DemoSpitze ausgehend nach hinten unseren "Aufruf zum 1.Mai" und unseren "Antrag für bedingungsloses Grundeinkommen" verteilen.

Die Sache fing schon gut an. Zu unserem Verdruss – aber doch: wie sehr zu unserem späteren Glück - kam Andreas, der einen Bollerwagen mit Musik mitbringen wollte, zu spät zu unserem Treffpunkt. Das brachte uns in die Verlegenheit, erst starten zu können, als der große Zug schon aufgebrochen war. Es war nicht leicht, von hinten her den ganzen Zug zu überholen bis wir an seiner Spitze waren. Dann aber kam der unglaubliche Moment. Was für ein Unglück, wenn wir früher angekommen wären.

Der erste von uns war an der Spitze, da hielt der ganze Zug plötzlich an. Die Polizei musste wohl erst die weitere Demoroute sichern. Vorne am Demonstrationszug wurde ein riesiges Transparent getragen, dessen Botschaft „Arbeit für Alle bei fairem Lohn“ war.


 

In den Raum zwischen der Demo-Spitze und der Polizei stürmten nun Diana, Thomas und Marion hinein – und spannten unser schönes neues goldgelbes Banner „Bundesagentur für Einkommen“ gegenüber den Bannerträgern der Gewerkschaft – allesamt deren Spitzenfunktionäre - auf.

Der Polizei war diese Aktion natürlich gar nicht recht und es kam zu kurzem Wortgefecht. „In drei Minuten seid ihr hier weg“ drohte ein Polizist..

In drei Minuten? Das war das Stichwort für Diana. Statt die „drei Minuten“ als Bedrohung aufzufassen, nahm sie sie als Chance wahr: „Drei Minuten? Das ist geil“ - mit diesen Worten bat sofort um unser Megaphon. Und dann geschah das Unerhörte: Vor einem riesigen, wie von Geisterhand angehaltenen, Demonstrationszug in einem absolut stillen Raum – hinter uns bestens abgesichert von einer völlig überraschten Polizei – vor uns die Spitze der Gewerkschaft, die hinter dem Plakat “Arbeit für Alle zu fairen Löhnen“ versammelt war, stand Diana, flankiert vom goldgelben Banner „Bundesagentur für Einkommen“ – über dem Banner leuchteten zur Freude der Gewerkschaft noch weitere Aussagen wie: „Maschinen nehmen uns die Arbeit ab - Endlich!“ usf. – und hielt einen Vortrag zum Grundeinkommen. Darüber, dass Arbeit nicht ein „Wert an sich“ und wie Grundeinkommen ein Schritt in bessere Zeiten sei. Und die einzigen Zwischenrufe kamen vom Polizisten, der laut die Zeit abzählte: „Zweieinhalb Minuten – zwei Minuten – eineinhalb Minuten“ usf.  Es war unglaublich.
 


Und da ich gerade auch da war, nutze ich meinerseits die Gelegenheit, um den Altvordersten der Gewerkschaft persönlich unseren – recht provokanten -  „Aufruf zum 1.Mai“ (Textauszug: „In Zeiten produktivitätssteigernder Rationalisierungen stellen Aufrufe zur Vollbeschäftigung nichts als einen Ausdruck von Realitätsverlust dar.“) und unsere „Anträge für bedingungsloses Grundeinkommen“ in die Hand zu drücken.

Ein teils unsicheres, teils überraschtes Lächeln auf den Gesichtern der Gewerkschafter – manche haben bei Dianas Vortag allerdings auch anerkennend genickt und fast alle haben unseren Aufruf aufs freundlichste entgegen genommen – da traten wir zur Seite und der Zug ging weiter.
 


(Man liest überrascht unseren Aufruf und spricht darüber.
Herr Sommer (Mitte links) schaut nach hinten)


Freunde, war das ein Moment, ein Moment, wie es einen derartigen so schell wohl keinen zweiten gibt – und es ist nicht einfach, davon zu sprechen, denn das Herz ist so voll und die Empfindungen sind so tief …

Aufrufe und die Anträge haben wir dann mit Genuss von vorne nach hinten durch die ganze Demo verteilt. Sie wurde uns teils förmlich aus den Händen gerissen – vor allem im „schwarzen Block“ als ich “Wir ärgern die Bundesagentur für Arbeit“ rief.

Und als der Zug vorbei war, da standen wir beseligt, selber überrascht und betroffen miteinander und hatten die Empfindung: Da war eine höhere Macht mit im Spiel.

(Der Moment an der Spitze ist gefilmt worden – es wäre toll, der Filmer stellte die Sequenz ins Netz …)

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Wir sind dann zum Treff mit Susanne Wiest gegangen. Zur Siegessäule – diesem so symbolträchtig von Susanne ausgesuchten Ort.

Wie sind wir so schön gekrönt worden beim Empfang. Das Wetter war herrlich und eine größere Anzahl von Freunden kam zusammen. Auch die weiteren Mitglieder unserer Bürgerinitiative, die – statt die Demo „rückwärts durchzubürsten“ – „Anträge“ in  tausende von Briefkästen in Berlin eingeworfen hatten, gesellten sich zu uns dazu. Da war erst vieles zu erzählen. Aber plötzlich hatte Georg eine Idee: Wie wäre es, unser Banner oben auf der Siegessäule anzubringen? Kaum gedacht, war man schon auf dem Weg nach oben. Und dann prangte es da, unser Banner, auf der Siegessäule, mitten in Berlin, befeuert vom Engel des Sieges, den unsere Zeit in einem weitaus höheren, als dem niederen militärischen Sinne so nötig braucht.


 
 

Wir trollten uns dann in eine stille Ecke des Tierparks um aufs gemütlichste noch zusammen zu sein. Und ermattet und froh gingen wir später nach Hause.

Es gab noch ein drittes für uns wichtiges Ereignis – aber davon jetzt schon öffentlich zu sprechen, ist noch nicht die Zeit.

 

Mit Empfindungen, die unbeschreiblich sind,
Ralph Boes